Ruderer und ihr Verhältnis zu Schwänen und Enten
Als Ruderer lieben wir es Teil der Natur sein. Aber gleichzeitig haben wir auch ein durchaus angespanntes Verhältnis zu Anglern und auch Wasservögeln. Meinen persönlichen Umgang mit Wasservögeln stelle ich hier in Frage.
Bin ich ein schlechter Mensch?
Neulich war ich am Stausee in Niederhausen an der Nahe im Zweier-ohne unterwegs. Wir hatten gerade nach der Wende einige hundert Meter absolviert, als wir scheinbar einen Tierfreund provoziert haben, da wir auf eine Schwanenfamilie zugefahren sind. Die Schwäne haben uns nicht weiter beachtet, aber der Mensch war sehr aufgebracht, ob unseres rücksichtslosen Verhaltens. Zumindest wurde das so an uns herangetragen.
Nun war ich bisher nicht der Meinung, ein Tier-feindliches Verhalten an den Tag zu legen - eher im Gegenteil. Dennoch hat mich dieser Vorfall nachdenklich gemacht.
Etwas Hintergrund
Die Schwaneninitiative
In den letzten Jahren kam es an der Nahe wiederholt zu traurigen Ereignissen im Zusammenhang mit Schwänen. Daraufhin hat sich die Schwaneninitiative Bad-Münster/Bad-Kreuznach gegründet, die sich den Schutz der Schwäne auf die Fahnen geschrieben hat. So sind inzwischen einige Nester mit Webcams ausgestattet. Außerdem zeigen die Mitglieder vermehrt Präsenz, so auch am Stausee.
Das habe ich so der Lokalpresse entnommen, wie beispielsweise
- 14 Schwäne verschwanden und mehrfach wurden Nester ausgehoben
- Engagierte Tierschützer "wachen" über Schwäne
Ich hatte auch schon persönlichen Kontakt: Ich war Regattaleiter der Südwestdeutschen Meisterschaften am Stausee. Für die Regatta hatten wir einige Überspannungen des Sees - die Fahrbahn-Nummerierungen bei jedem Viertel der Strecke. Was wir bis dahin nicht bedacht hatten: Die Überspannungen sind für Schwäne gefährlich, da diese die im Flug nicht sehen und sich daran strangulieren können. Darauf wurden wir hingewiesen. Eine einfache Abhilfe war etwas Flatterband an den Überspannungen.
Mein Verhältnis als Ruderer zu Wasservögeln
In Niederhausen an der Nahe haben wir diverse Wasservögel: Schwäne, Enten, Nilgänse, Kormorane, Graureiher - um die zu nennen, die ich als ornithologischer Laie erkenne. In meiner Wahrnehmung interessieren sich diese Vögel nicht wirklich für uns Ruderer. Und auch umgekehrt, hält sich mein Interesse in Grenzen.
Auf dem Wasser sind wir dort fast alleine. Es gibt noch einige Kanuten und gelegentliche Stand-Up-Paddler. Am Ufer sitzen Angler, an einigen Abschnitten gibt es Wanderer und schließlich gibt in der heißen Jahreszeit auch immer mal wieder ein paar wenige Schwimmer.
In Bad Kreuznach an Mühlenteich und Roseninsel sieht es etwas anders aus: Dort haben wir viele Enten und einige Nilgänse, wenige Schwäne. Der Unterschied ist, dass die Enten ausgiebig gefüttert werden. Daraus ergibt sich, dass sie jegliche Scheu vor dem Menschen verloren haben. Auch Hunde werden an der Leine geführt, so dass von ihnen keine Gefahr ausgeht. Das geht soweit, dass man als Jogger gerne mal über eine Ente springen muss, denn diese schenkt einem keine Beachtung.
Das gilt auch für mich als Ruderer: Die Enten machen - im Wesentlichen - Platz, wenn ich mit meinem Einer vorbeikomme. Aber sie machen kaum mehr Platz als notwendig. Gelegentlich tuschiere ich eine Ente mit dem Blatt meines Ruders. Das geschieht dann beim Vorrollen, wo das Blatt durch die Luft geführt wird. Dabei erschrecken sowohl ich als auch die Ente. Sie schüttelt sich dann, verhält sich im Anschluss aber unauffällig. Mein Schrecken kommt daher, dass ich bei ruhiger Schlagzahl das Ruder während des Vorrollens meist nicht sehr fest in der Hand halte.
Dabei habe ich bisher kein wirklich schlechtes Gewissen: In meinem Weltbild sollten die Enten eigentlich mir ausweichen. Mit meinem Ruderboot fahre ich keine wahnsinnigen Geschwindigkeiten, die das Fassungsvermögen einer Ente übersteigen. Ich erscheine auch nicht wirklich überraschend. Natürlich treffe ich niemals eine Ente mit Absicht. Außerdem passiert es nie bei hohen Schlagzahlen und nie mit Kraft.
Ähnlich sieht es übrigens auch mit Küken aus: Begegnet mir eine Enten-Mutter mit Küken, bleiben gerne mal ein bis zwei Küken auf der anderen Seite des Bootes zurück. Dabei reagiert die Mutter (oder der Vater?) weder panisch noch aggressiv. Es wirkt eher wie eine erzieherische Maßnahme.
Ruderer gibt es in Bad Kreuznach außer mir nur wenige. Dafür gibt es dort allerdings einen Bootsverleih mit Tretbooten, Kanus, Narren und dergleichen mehr. Außerdem gibt es noch einen Stand-Up-Paddel-Verleih. Hier ist auf dem Wasser also deutlich mehr los - dennoch bin ich oft alleine auf dem Wasser - gerade zu den Tagesrandzeiten und in der kälteren Zeit des Jahres.
Dass ich beim Rudern nicht unnötig dicht an Nestern oder brütenden Wasservögeln vorbeifahre, ist selbstverständlich. Gerade bei neuen Nestern kann das mal passieren. Bei Schwänen erkennt man dann sehr deutlich, dass sie sich gestört fühlen.
Doch die (indirekte) Begegnung mit dem Tierschützer hat mich nachdenklich gemacht. Ist das ein unnötig aggressives Verhalten meinerseits? Müsste ich Enten und andere Wasservögel weiter umfahren?
Die Suche nach Literatur
Auf den ersten Blick habe ich im Netz nur Erläuterungen gefunden, weshalb man Enten nicht füttern sollte. Die genannten Gründe sind zwar andere, es scheint mir sinnvoll die Tiere nicht noch weiter an den Menschen zu gewöhnen.
Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur
Die Broschüre Sicherheit auf dem Wasser des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) nennt zehn Regeln für das Verhalten von Wassersportlern in der Natur. Dort heißt es, wir sollen ausreichenden Abstand zu Vogelansammlungen auf dem Wasser halten - wenn möglich, mehr als 100 m.
Das Ressort Wanderrudern des bietet einige Dokumente und Broschüren zum Thema Naturschutz - aber für meine aktuelle Herausforderung wenig erhellendes.
Das Naturschutzgebiet Niederhausen
Der Stausee in Niederhausen an der Nahe ist Teil eines Naturschutzgebietes. Dazu gibt es die Rechtsverordnung über das Naturschutzgebiet Nahetal von Boos bis Niederhausen, Kreis Bad Kreuznach vom 8. Dezember 1986 . Darin heißt es:
Im Naturschutzgebiet sind folgende Handlungen verboten: […] wildlebenden Tieren nachzustellen, sie mutwillig zu beunruhigen, Vorrichtungen zu ihrem Fang anzubringen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen, Nester oder sonstige Brut- oder Wohnstätten fortzunehmen oder zu beschädigen; Säugetiere, Vögel und Kriechtiere am Bau, im Nestbereich oder Ruhebereich zu fotografieren, zu filmen, dort Tonaufnahmen herzustellen oder den Brutablauf oder den Paarungsablauf der Kriechtiere oder die Jungenaufzucht auf andere Weise zu stören;
Bemerkenswert finde ich persönlich das Verbot des Fotografierens. Aber darüber hinaus ist auch das nicht weiter erhellend.
Störungsökologie rastender Wasservögel am Starnberger See
Dann bin ich auf das Paper Störungsökologie rastender Wasservögel am Starnberger See von Andreas Müller, Andreas & Franziska Lange und Andreas Lang (1996) gestoßen. Bei dem Paper geht es um die ökologischen Auswirkungen des zunehmenden Wassersports am Starnberger See im Winter.
Zunächst kommen wir Ruderer dabei gar nicht gut weg. Dort heißt es:
Sportruderer, verstärkt in Begleitung eines Motorboots, können daher ganz erhebliche Fluchtreaktionen auslösen und stellen somit eine große Störung dar.
Eine Ursache scheint dabei zu sein, dass wir Ruderer auch für Wasservögel als Menschen zu erkennen sind.
Als Maß der Störung wird die Fluchtreaktion der Vögel herangezogen. Dabei geht um die Fortbewegungsart (Schwimmen, Fliegen) und die Entfernungen, die Fluchtdistanz.
Für Fuß-/Spaziergänger werden beispielswiese Distanzen von 20 bis 60 Metern genannt - in Abhängigkeit der Jahreszeit und der Vogelart.
Bei Segelbooten wurden 280 bis 550 Meter genannt. Hier ist neben der Größe des Bootes auch der Kurs zum Wind relevant.
Neben der Fluchtreaktion befasst sich das Paper auch damit, wie sich der Entwicklung der Vogel-Population. Außerdem geht es um den Aspekt, wann ein Vogel nach der Flucht zu seinem Futterplatz zurückkehrt.
Fluchtdistanzen von Stockente und Graureiher
Da die Fluchtdistanz scheinbar das Maß der Störung bestimmt, bin ich diesem Thema weiter gefolgt und auf die WWF-Studie Fluchtdistanzen und Bestand von Stockente und Graureiher im Bereich des geplanten Nationalparks Donau-Auen , Erstellt von Dipl.lng. Ulrich Eichelmann, im Auftrag des Nationalpark-Institutes Donau-Auen und des WWF Österreich. Wien, im Mai 1993 Studie 8, gestoßen.
Wie der Name schon sagt, geht es hier um Graureiher und Stockenten. Dabei wird deren Reaktion auf Kanuten, Angler mit Booten (Zillen), Fußgänger und Autos untersucht. Ruderer gab es dort wohl keine, trotzdem ist auch dieses Paper durchaus aufschlussreich.
Überraschend finde ich die Aussage (bzw. Randbemerkung), dass Schwäne störungsresistent sind - im Gegensatz zur Stockente, die sich scheinbar noch früher gestört fühlt, als ein Graureiher.
Interessant ist auch der Einfluss der grundsätzlichen Existenz von Anglern auf die Fluchtdistanzen, wobei Angler am Ufer und im Boot mutmaßlich dieselbe Störung verursachen.
Ebenso bemerkenswert finde ich diese Aussage:
Mitentscheidend für die Reaktion auf Fußgänger, war das Verhalten des “Störers”: ging ich langsam und kontinuierlich, so blieben die Enten und Reiher länger sitzen, als etwa bei plötzlichem Stehenbleiben. Die Fluchtdistanzen stiegen dadurch im Durchschnitt um 10 % bis 20 % an. Beobachtet man die Vögel dazu mit einem Fernglas, so verstärkt sich dieser Effekt noch.
Das erklärt wohl auch das Foto-Verbot in Niederhausen. Laut dieser Studie fliehen Stockenten vor Paddlern bei ca. 100 m. Für Fußgänger wird ein Median von 110 m bzw. 150 m genannt. Da drängt sich die Frage auf, wie störend ein Ruderer im Vergleich zum Fernglas-bestückten Naturschützer ist. 😇
Meine Ableitungen
Erst einmal war ich erstaunt, dass wir Ruderer für den Starnberger See als »Störenfriede« identifiziert wurden. In meinem bisherigen Weltbild findet Rudern doch sehr im Einklang mit der Natur statt. Das Weltbild unseres Tierfreundes am Stausee in Niederhausen an der Nahe dürfte wohl dies allerdings bestätigen.
Was mich und mein Seelenheil allerdings beruhigt, sind die Fluchtreaktionen bzw. deren Ausbleiben. Die Enten in meinem Umfeld fliehen augenscheinlich nicht bei mehreren Metern, eher bei wenigen Zentimetern. Wenn es eng wird, fliegen sie auch mal einen halben Meter. Aber in der Regel entfernen sie sich schwimmend. Gleiches gilt für die Schwäne in Niederhausen an der Nahe.
Zugegeben, nach der WWF-Studie, bedeutet auch das schwimmende Entfernen Stress für die Tiere. Nach meinem Eindruck ist es jedoch nicht so, dass die Vogel-Population abnimmt. In Bad Kreuznach werden es (gefühlt) eher mehr Enten und Nilgänse (trotz Tretboten, Anglern, Spaziergängern mit Hunden und mir). Auch in Niederhausen an der Nahe hat die Schwanen-Population in den letzten Jahren deutlich zugelegt - was wohl auch der Initiative zu verdanken ist.
Also für den Moment ist mein Gewissen rein. Dennoch bin ich kein Ornithologe und für sachliche Argumente offen. Gleichwohl habe ich natürlich kein Interesse daran, die Naturschützer an der Nahe zu verärgern. Denn ich möchte sicher nicht unnötig die Ursache für Ärger Anderer sein. Und bei einer Auseinandersetzung Wassersportler gegen Naturschutz gäbe es auch keine Gewinner.